Apa Khabar / Wolfgang Hilger, 2001

Apa Khabar

Wolfgang Hilger

Es besteht kein Zweifel, dass die Entwicklung der abstrakten Malerei während des letzten Jahrhunderts jenen Grenzbereich erreicht hat, in dem sich das Entdecken neuer formaler Möglichkeiten weitgehend erschöpft. Doch wie so oft in der Kunstgeschichte ergeben sich in Spätzeiten gerade aus dem Wechselspiel bekannter, häufig sogar konträrer Standpunkte und Konzepte reizvolle Konstellationen, wie sie eben aus einer gewollten Konfrontation resultieren. So findet sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder die Tendenz, kühle Rationalität mit Emotionalität und Ästhetik zu verschmelzen. Dass sich aus den Positionen von Konstruktivisten, Vertretern des Informel und sensibel-esoterischen Ästheten oder Koloristen gültige Konjunktionen entwickeln können, haben etwa Gerhard Richter oder Sean Scully überzeugend bewiesen.

Gute und anspruchsvolle abstrakte Malerei ist heute gewiss mehr, als nonverbale Zeichen zu setzen, ein logistisches System zu visualisieren oder gefühlsbetonte Zufallsprodukte in Bildform zu fixieren. Abstraktion bedeutet zwar die Loslösung von der augenfälligen Wirklichkeit, sollte jedoch stets von einem schlüssigen, innerhalb seiner Grenzen zwingend gültigen Konzept getragen werden, einem Konzept, das auch über Intellektualität und Intentionen seines Urhebers Rechenschaft ablegt.

Rudolfine Rossmanns Bilder sind das Ergebnis eines langen Erfahrungsprozesses, einer Entwicklung, in der das Erlebnis von Landschaft und Natur genauso berücksichtigt wird wie die ständige Reflexion über die Wertigkeit von Farbe, die Beschaffenheit einer Bildoberfläche oder die verbliebenen, noch definierbaren formalen Elemente. Rossmanns stets gleich bleibendes Thema ist das Gestalten einer Fläche durch die Dominanz einer Farbe und deren Bezug zu Strukturen, die sich vom einfachen Konstrukt bis zu freier Ornamentalität entwickeln können.

Dabei ist Rossmanns Malweise ein irritierendes Wechselspiel von Addition und partiellem Tilgen von Farbschichten, das heißt, dass vergleichbar der Sgraffitotechnik durch flächiges Abziehen der übereinander aufgebrachten Farbschichten die darunter liegenden aktiviert und damit durchscheinende, in ihrer Intensität sehr diffizile Valeurs erzielt werden. Darüber können weitere Malschichten aufgebracht und neuerlich bearbeitet werden. In Rossmanns Bildern dominieren oft dunkle Hintergründe mit aufgesetzt wirkenden Punkten, Sternen, Sonnen und Kringeln, die jedoch, wie sich bei genauerer Betrachtung zeigt, auf den darunter liegenden Malschichten positioniert sind – ein merkwürdiges optisches Paradoxon, das bei hellgrundigen Bildern in reziproker Weise Gültigkeit erlangt.

Dennoch sind Rossmanns Bilder niemals nur formale Spiele. Der Ursprung der Arbeiten ist und bleibt der Natur verbunden, sei es, dass es sich um Reminiszenzen an Formationen und Impressionen intensiv erlebter Landschaften Ostasiens handelt, sei es, dass Strukturen aus dem Mikro- oder Makrokosmos ihre Existenz in Erinnerung bringen oder archetypische Konstellationen auftauchen, die irgendwo in unterbewussten Vorstellungswelten angesiedelt sind. Über all diesen Motiven und Intentionen steht das ordnende Denken einer Künstlerin, die in ihren Bildern nichts dem Zufall überlässt.

Eigentlich ist Rudolfine Rossmann in ihren Mitteln eine minimalistische Malerin. Ihre Bilder sind nicht laut oder plakativ, stehen jeder großen Geste fern und sind doch kontrastreiche, Spannung schaffende Felder für das suchende Auge. Sie zwingen zur Kontemplation und sind fern jeder Gefahr, zu esoterischer Spekulation zu verleiten. Auch in den großen Formaten bleibt höchste Subtilität erhalten, ja Rossmann benötigt diese Dimensionen, um ihre Weltenbilder zu malen. Diese Detailaufnahmen aus einem subjektiv erlebten, flimmernden Kosmos vermitteln überdies eine leise, unaufdringliche Form von Spiritualität.

Rossmanns Bilder repräsentieren in gleicher Weise Sinnlichkeit und Ordnungsdenken. Es sind hervorragende Beispiele einer abstrakten Malerei, in der sich sensitive und konzeptive Prinzipien verbinden. Dass sich in all dem eine noble, durchaus traditionelle Ästhetik manifestiert, entzieht Rossmanns Werk jeder kurzlebig-zeitgeistigen Spekulation.

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Apa Khabar

Wolfgang Hilger

In the past century, abstract painting has moved into a border area which leaves almost no new formal possibilities to be discovered. Yet, as often in the history of art, the interplay of known, frequently even contrary positions and concepts in the late phase of an epoch may lead to interesting constellations comparable to those resulting from deliberate confrontations. Thus, the last decades have repeatedly seen a tendency to merging emotionality and aesthetics. Gerhard Richter’s and Sean Scully’s works strikingly evidence that valid conjunctions can be derived from the positions taken by the Constructivists, the representatives of Informel, and sensitive-esoteric aesthetes and colorists.

Today’s good and demanding abstract painting certainly goes beyond positioning nonverbal signs, visualizing a logistic system, or fixing emotional arbitrary products in a pictorial form. Though all abstraction entails a detachment from obvious reality, it should always be based on a conclusive concept that is absolutely valid within the context of its limits and accounts for its author’s intellectuality and intentions.

Rudolfine Rossmann’s pictures are the outcome of a long-term process in which the experience of landscape and nature is as crucial as the permanent reflection on the significance of color, the quality of the pictorial surface, and the remnant formal elements still definable. Rossmann always relies on shaping her areas by letting a color dominate and drawing on its structural relations which may develop from simple configurations to free ornaments.

Rossmann’s painting process is an irritating succession of alternately applying and partially removing layers of color. The lower layers are actually only activated when the artist takes off flat portions of color that cover them. This sgraffito-like technique creates translucent tones which are rather subtle in their intensity. After spreading further layers of paint, Rossmann will start work-ing on these. Many of her paintings are dominated by dark backgrounds with dots, stars, suns, and squiggles that seem to be added but, as closer inspection reveals, are positioned on the lower layers – a strange optical paradox which works the other way round with light grounds.

However, Rossmann’s pictures are certainly no mere formal plays. The origins of her works always relate to nature, whether the pictures reminisce formations and intense impressions of East Asian landscapes, give room to micro- and macrocosmic structures, or outline archetypical constellations from subconscious realms of imagination. All her motives and intentions are controlled by the ordering reflection of an artist who does not leave anything to chance in her pictures.

As for her means, Rudolfine Rossmann is a minimalist really. Her paintings are neither loud nor ostentatious, defy all great gestures, and yet unfold fields of tension rich in contrast to the roaming eye. They call for contemplation and do not run the risk of suggesting esoteric speculations. Even her large formats are characterized by an extreme subtlety; Rossmann actually seems to need these dimensions to unfold her world pictures. Her detailed glimpses of a subjective flickering cosmos do convey a quiet, unobtrusive form of spirituality.
Rossmann’s pictures stand for both sensuousness and a strong sense of orderliness. They perfect-ly exemplify a form of abstract painting that combines sensitive as well as conceptual principles. The manifestation of a noble, profoundly traditional aesthetics in all this removes Rossmann’s work from all short-lived zeitgeist musings.

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